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Profis 09.01.2023 - 18:00 Uhr

Brille, die die Sinne schärft

Athletik- und Reha-Trainer Axel Busenkell und FSV-Torwart-Coach Stephan Kuhnert über Neuro-Training und progressive Trainingsmethoden

FSV-Keeper Lasse Rieß mit einer Strobobrille beim Training in Marbella.

Der eine oder andere 05-Fan mag sich ob der Fotos aus dem Trainingslager in Marbella möglicherweise ein wenig wundern, weshalb einige FSV-Profis bei den Einheiten auf dem Rasen plötzlich eine verdunkelte Brille tragen, die einer Sonnenbrille ähnelt. Zwar würden das Wetter und die spanische Sonne durchaus Anlass dazu gegeben, schaut man aber genau hin, lässt sich erkennen, dass die schwarzen Strobobrillen einem ganz anderen Zweck dienen. Der Athletik- und Reha-Trainer Axel Busenkell gab gemeinsam mit Torwarttrainer Stefan Kuhnert Einblicke in das Training mit den Brillen und die Nutzung von Neuro-Übungen im modernen Fußball.

Fokus auf das Wesentliche

"Das Prinzip kommt aus dem Neuro-Training", erklärt Busenkell die Rolle der Brillen und führt aus: "Die Augen haben unendlich viele Rezeptoren, aber das Gehirn braucht lange, um alle Eindrücke zu verarbeiten." Daher versucht das Hirn Muster zu erkennen, diese zu speichern und später wieder abzurufen. An dieser Stelle kommen die schwarzen Strobobrillen ins Spiel, denn mit ihnen kann der Fokus auf das Wesentliche im Training erhöht werden. Beim Tragen wird das Sichtfeld je nach Einstellung kürzer oder länger verdunkelt, es gibt also Zeiträume, in denen der Spieler nichts sieht und Bewegungen auf der Grundlage des vorher Gesehenen richtig antizipieren muss. Trainiert werden kann in verschiedenen Schwierigkeitsgraden von eins bis acht – je höher die Stufe, desto länger sieht der Spieler schwarz. 

"Auf dem Fußballplatz ist es so, dass die Jungs mit der Brille viel mehr den Bewegungsablauf des Passgebers analysieren. Sie achten mehr darauf, wann der Gegenüber ausholt, wann er den Ball trifft", erklärt Busenkell. Allein daraus mache man als Spieler die Erfahrung, ob der Ball schneller oder langsamer kommt, lerne also, die Flugbahn des Balles noch besser einzuschätzen. Ist der Ball unterwegs, kann dessen Bahn auch dann noch eingeschätzt werden, wenn das Licht mal kurz weg ist. Bei der Ballannahme müsse man sich darauf konzentrieren, dass man den Ball auch dann trifft, wenn die Sicht in dem Moment weg ist, in dem der Ball ankommt. "Führt man sein Bewegungsmuster einfach weiter aus, trifft man ihn trotzdem", weiß Busenkell. "Dadurch wird man mit der Zeit ökonomischer, denn alle Bewegungen, die beim Passen nicht wirklich notwendig sind, werden mit der Brille weggelassen", erklärt der Athletik- und Reha-Trainer den Nutzen des Accessoires.

Insgesamt schärfen die Brillen also die Sinne von der Beobachtung des Bewegungsablaufs des Gegenübers, über die Bewegung des Balles, bis hin zur eigenen Reaktion.

Auch Mittelfeldspieler Anton Stach arbeitete in Marbella mit einer Strobobrille.

Eine willkommene Abwechslung, die besser macht

"Das Spiel soll leichter sein als das Training", macht sich Torwarttrainer Kuhnert die Brillen zu Nutzen. "Wenn der Effekt eintritt, dass du die Bälle im Spiel durch das Training mit den Brillen im Vergleich langsamer wahrnimmst, gefällt es mir am besten", ergänzt der 05-Torwarttrainer grinsend. Seit fünf Jahren wird die Technik bei Mainz 05 genutzt. Hauptsächlich von den Torhütern, die sich vor dem Platztraining mit den Brillen aufwärmen und diese auch während der Einheiten mit "Kuhni" regelmäßig tragen. "Die Jungs nehmen das an, denen macht das Spaß und es ist eine gute Abwechslung", weiß der langjährige 05-Keeper und ergänzt. "Alles, was einen ein bisschen besser macht, sollte man ausprobieren."

Die FSV-Keeper würden sich nach dem Training mit den Brillen jedenfalls sicherer im Fangen fühlen, da das Accessoire den Fokus schärft und man sich besser konzentriert, so Kuhnert. Auch beim Passen könne man besser einschätzen, wie der Ball auf einen zukommt und fokussiere sich mehr darauf, diesen richtig zu treffen, weil man länger auf ihn schaut. "Auch da sagen die Jungs, dass der Bewegungsablauf zum Pass hin ökonomischer wird", ergänzt Busenkell.

Zwar werden die Brillen in der täglichen Arbeit primär von den Torhütern genutzt, doch auch bei Mittelfeldspieler Anton Stach kam die Brille im Rahmen seines Reha-Programms in Marbella zum Einsatz: "Sein Fuß ist zwar stabil, aber es gibt immer noch Sensoren, die ihm Unsicherheiten oder Schmerz melden. Das Gehirn möchte daher nicht, dass der Fuß bewegt wird", so Busenkell. Mit der Brille fokussiere sich der Spieler viel mehr auf seinen Körper, die Augen seien nur noch auf den Pass konzentriert. "Da hat das Gehirn keine Zeit mehr, um an Schmerzen zu denken", kann die Brille auch in dieser Hinsicht einen Nutzen haben. 

Effekte der Neuro-Übungen überzeugen die Spieler

Zu Beginn sei Busenkell von den Neuro-Übungen nicht überzeugt gewesen, er habe ein Seminar zu diesem Thema eigentlich nur besucht, "um zu gucken, was das für ein Quatsch ist." Dieser Kurs habe ihm aber Antworten auf viele Fragen gegeben, die der biomechanische Ansatz nicht liefern konnte. Mittlerweile stünden die Neurowissenschaften für ihn daher im Mittelpunkt seiner Tätigkeit, er sieht sie im Vergleich zur Sportwissenschaft überlegen.

Die Spieler überzeuge er mit einfachen Drills von seinen Methoden. "Wenn du einen Drill machst, der 20 Sekunden dauert und du bist hinterher stabiler als vorher, bist du ja schön doof, wenn du das nicht machst", wiegt Busenkell seine kurzen Einheiten gegen intensives aber wenig effektives Krafttraining auf. "Alleine mit dem Faktor Zeit und der Tatsache, weniger machen zu müssen, bekommst du die Spieler immer", lacht der Athletik- und Reha-Trainer. Entsprechend seien diese Drills im Laufe der Zeit auch innerhalb der Mannschaft gesellschaftsfähig geworden. "Früher sind die Spieler, die daran geglaubt haben, oft mit ihren Übungen in der Ecke verschwunden. Heute machen es alle öffentlich und erfahrene Akteure dienen jüngeren Spielern als Vorbild", erkennt Busenkell eine positive Entwicklung.

09.01.2023

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Nur der Übertrag auf das Spielfeld

Beim Neuro-Training gehe es grundlegend darum, Areale im Gehirn zu aktivieren, die beispielsweise für die Beugung und Streckung der Muskeln verantwortlich sind. So können mit einer Übung beispielsweise alle Beugemuskeln gleichzeitig aktiviert werden. Die Übungen seien daher bei vielen Spielern beliebt, denn man könne schnell Verbesserungen erzielen, erzählt Busenkell. Es sei dabei zunächst wichtig, durch Screenings Defizite festzustellen und diese durch Neuro-Training auszugleichen. Ab einem bestimmten Level könne man dann damit beginnen, mit dem Training die Performance aktiv zu verbessern. 

In der Bundesliga sei die Neurologie insgesamt auf dem Vormarsch. "Die Brille ist nur der Übertrag auf das Spielfeld. Vorher passiert schon ganz viel, damit man optimal damit arbeiten kann", so Busenkell, der niemandem im Training die Brille aufsetzen würde, ohne vorher mit ihm gearbeitet zu haben. Man müsse Defizite ausgleichen, um bei der Nutzung nicht zu viel Stress zu verursachen. Als Sonnenschutz sind Strobobrillen auch nicht geeignet. "Sie haben keinen UV-Schutz", betont Busenkell.