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Profis 27.12.2022 - 17:00 Uhr

Thurk: "Kloppo fragte mich: 'Micha, kann ich dich überhaupt aufstellen?'"

Die ehemalige Nummer 27 von Mainz 05 im Porträt.

Aufstiegsheld von 2004: Michael Thurk im entscheidenden Spiel gegen Eintracht Trier im Bruchwegstadion.

Michael Thurk spielte sechseinhalb Jahre lang am Bruchweg, unterbrochen von einem halbjährigen Gastspiel bei Energie Cottbus. Der Stürmer kam als bereits 23-jähriger Amateurkicker vom hessischen Oberligisten SV Jügesheim und ging mit 30 Jahren zu Eintracht Frankfurt. Eine lebende Legende im 05-Team war er damals schon, und die Legendenbildung ging los mit seinem ersten Treffer im November 1999. In seiner ersten Saison wurde er nur sporadisch eingewechselt, traf in der Liga noch überhaupt nicht, dafür aber im DFB-Pokal gegen Hertha BSC. Das Tor des kleinen, schmalen Renners war das 1:1 und machte die dramatische Verlängerung, in der neun Mainzer elf Berliner aus dem Pokal warfen, erst möglich.

Im zweiten Jahr war Thurk Stammspieler, er schoss viele Tore, entwickelte sich zu einem vielseitigen Profi, als Pressingmaschine, als ekliger Gegenspieler. Fünf Tore in vier Wochen waren mitentscheidend für den Zweitliga-Nichtabstieg 2001. Die Saison 2003/04 war das erfolgreichste Mainzer Jahr des Torjägers mit 13 Toren. Thurk unterschrieb dennoch bei Energie Cottbus, als die 05er den Aufstieg abgehakt hatten, und bekam auf einmal ein ganz persönliches Problem: Sein Noch-Klub war plötzlich wieder ein Aufstiegskandidat, sein künftiger aber auch. Thurk löste das Dilemma mit drei entscheidenden Toren: eins gegen Unterhaching, zwei im letzten Spiel gegen Eintracht Trier. Nach dem letzten Abpfiff war Thurk als einziger 05er inmitten des Aufstiegsjubels unglücklich.

64 Tore erzielte Thurk in 202 Partien für den FSV.

Der Start: "Es ging alles schneller als erwartet"

Sein Start beim FSV 1999 ist dem heute 46-Jährigen noch präsent. "Ich kann mich sehr gut erinnern. Rudi Bommer war Trainer in Aschaffenburg und wollte mich aus Jügesheim holen. Das war schon sehr weit gediehen. Dann aber hat mich wohl Manni Lorenz beobachtet. Django Mann, mein Trainer in Jügesheim, kam zu mir und sagte: 'Pass auf, die Mainzer wollen dich‘. Ich bin mit Django nach Mainz gefahren. Sie haben mir gesagt, dass ich einen Amateurvertrag erhalte, mit den Profis trainiere und in der U23, die ja damals noch zweite Mannschaft hieß, Spielpraxis sammeln soll. Wir haben mit Christian Heidel im Haasekessel gesessen, da wurde das so besprochen und auch finalisiert. Ich habe die Vorbereitung mitgemacht. Im ersten Training hat sich dann leider Sandro Schwarz verletzt in einem Zweikampf mit mir. Ich konnte zwar nichts dafür, aber es war kein schönes Erlebnis zum Einstand. Vor allem für Sandro. Die Vorbereitung lief ordentlich. Ich habe das erste Spiel gemacht bei der Zweiten, eine Halbzeit gespielt und war dann sofort im Kader für das Pokalspiel in Halle. Es ging alles schneller als erwartet, und ich hatte in der Saison noch 17 Einsätze für die Profis. Mein erstes Spiel war zu Hause gegen Nürnberg. Da wurde ich eingewechselt, habe einen Elfmeter rausgeholt, den Hocki verwandelt hat. René Vandereycken war Trainer und hat versucht das ganze Team zu verjüngen, zum Leidwesen einiger älterer Spieler“, erinnert sich Thurk. "Im zweiten Jahr hat es gut funktioniert, ich habe regelmäßig gespielt Tore gemacht und so weiter. 2003/04 war nach den zwei verpassten Aufstiegen die dritte Saison, in der wir vorne mitgespielt haben. Als die Vertragsgespräche liefen, sind wir alle davon ausgegangen, dass wir nicht aufsteigen“, so Thurk. "Kloppo und Christian haben mir gesagt, dass sie gerne die Mannschaft verändern würden, wenn wir es wieder nicht schaffen, und dass sie mir keinen Vertrag für die Zweite Liga anbieten wollten. Ich war 26 oder 27. Mir war klar: aufhören ist nicht. Ich muss gucken, wie und wo es weitergeht. Für Cottbus sah es zu diesem Zeitpunkt so aus, als sollten sie hoch gehen.  Es kam alles anders“, sagt Thurk. "Auf der einen Seite war ich am Saisonende traurig, weil ich gehen musste, auf der anderen Seite aber auch glücklich, weil wir es endlich geschafft hatten.  Wir hatten so lange darauf hingearbeitet, so viel Leidenschaft reingesteckt als Mannschaft, als Klub. Natürlich war ich enttäuscht, dass ich dann in der Bundesliga nicht dabei sein würde. Dennoch habe ich mich sehr gefreut für diese coole Truppe.“

Der Spieler erinnert sich an eine Anekdote vor dem Aufstiegsspiel gegen Eintracht Trier. "Kloppo hat mich zu sich gerufen in sein Büro und fragte mich: 'Micha, kann ich dich überhaupt aufstellen?' Er wollte wissen, ob ich mental mit dieser Situation umgehen könne. Ich habe ihm geantwortet, allein, dass er in Frage stellte, dass ich nicht alles geben würde, fand ich merkwürdig. Er kannte mich jetzt auch schon seit Jahren und wusste, dass ich gewinnen, will, wenn ich auf den Platz gehe. So habe ich ihm das gesagt. Ich denke, ich habe das auch gezeigt. Es ist eine komische Geschichte. Sie gehört aber dazu, zur Personalie Michael Thurk und Mainz 05.“

Michael Thurk war Teil des Trainerteams von Sandro Schwarz bei den Profis. Nach Schwarz' Entlassung wechselte Thurk in die Scoutingabteilung.

Rückkehr nach Mainz und Wechsel nach Frankfurt

In Cottbus wurde der Hesse nicht glücklich. Im Winter holten die Mainzer ihren Angreifer zurück. Einen Teil der Ablöse hätte er selbst zahlen sollen, aber nach sechs Rückrundentoren und dem Nichtabstieg im ersten Bundesligajahr übernahm der Klub Thurks Anteil. Er entwickelte sich zum Bundesliga-Torjäger und sah dann unverhofft die Chance, noch einmal für die gerade wieder aufgestiegene Frankfurter Eintracht zu spielen. "Es gab vorher Gerüchte, dass irgendwas mit Leverkusen gelaufen wäre, wovon ich aber nichts wusste. Ich war glücklich in Mainz und wollte auch nicht wechseln. Es hatte auch längst Gespräche gegeben mit 05, um meinen Vertrag zu verlängern und anzupassen, weil ich ein relativ geringes Gehalt hatte. Dann habe ich mit meinem Berater mit Christian und Kloppo zusammengesessen. Es gab ein Angebot, meine Bezüge um 70 Prozent anzuheben.“, sagt Thurk rückblickend.

Er sei in die Sommerpause nicht mit einem Wechsel-Gedanken gegangen. "Bis mir mein Berater dann in einem Café in Frankfurt eröffnete, es gebe eine Anfrage der Eintracht. Man muss sich das so vorstellen: Ich bin in den Straßen des Gallus groß geworden, war wie meine ganzen Kumpels Eintracht-Fan. Wenn wir auf dem Bolzplatz gekickt haben, waren wir immer einer der Eintracht-Spieler. So kam diese Situation zustande. Es gab dazu auch eine Vorgeschichte: bevor ich nach Mainz kam, war ich auch bei einem Probetraining unter Eintracht-Trainer Horst Ehrmanntraut. Dort wurde mir vorgeschlagen, bei der U23 zu spielen. Ohne das Training mit den Profis wie Mainz es dann angeboten hatte. Und sieben oder acht Jahre später kommt dann doch nochmal die Möglichkeit. Es war ein Herzenswunsch. Es hing nicht am Geld, denn ich habe beim FSV ein Top-Gehalt abgelehnt, um mir meinen Kindheitstraum zu erfüllen. Dass es dann nicht so gut gelaufen ist, weiß jeder. Ich würde es heute nicht mehr machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte. Doch das geht halt nicht. Ich war Feuer und Flamme, habe gedacht, es passt, aber es hat eben nicht gepasst. Auch das ist Teil meiner Geschichte. Es war nicht die feine englische Art. Doch ich habe mich längst mit allen ausgesprochen, und die Dinge sind geklärt.“ Thurks Fazit: "Damit kann und muss ich leben. Ich war einer, der, wenn er auf den Platz gegangen ist, immer gewinnen wollte. Und der auch nicht unbedingt den bequemsten weg gegangen ist. Ich glaube, dass ich die Nerven meiner Mitspieler oft strapaziert habe. Trotzdem wussten sie, dass ich immer alles gebe auf dem Platz. Und damit sind wir wieder beim Aufstieg 2004.“

Im Trikot der Eintracht (rechts). Mit dem Wechsel an den Main erfüllte sich Thurk einen Kindheitstraum.

Weitere Stationen, aber "schönste Zeit" in Mainz

Als Stürmer des FC Augsburg wurde Thurk noch einmal Zweitliga-Torschützenkönig und Bundesligaaufsteiger. Mit dem 1. FC Heidenheim stieg er als 38-Jähriger noch in die Zweite Liga auf. 2019 stieß er als Offensivtrainer und Gegnerbeobachter zum Trainerteam von Sandro Schwarz. Nach dessen Entlassung blieb Thurk im Scoutingstab. Einen Status könnte er für die Ewigkeit haben: Mit 64 Toren in 202 Spielen in beiden Bundesligen, DFB- und Europapokal ist er mit Vorsprung der größte Mainzer Torjäger im Profifußball.

"Ich habe mich selbst nie als reiner Torjäger gesehen“, erzählt der Ex-Profi. "Ich habe sehr gerne Tore vorbereitet. Eigentlich sogar noch lieber. Anfangs haben mir alle gesagt, ich müsste auch mal selbst schießen. "Die Zeit beim FSV, sagt Thurk, sei die schönste Zeit in seiner Fußballerkarriere gewesen, "obwohl es in Augsburg auch super gelaufen ist. Doch die Truppe, die wir hier seinerzeit beieinanderhatten, hat so gut zusammengepasst. Deshalb sage ich, wenn man mich nach meiner Heimat fragt: Ich bin Frankfurter, da bin ich geboren und aufgewachsen, aber fußballerisch ist Mainz 05 meine Heimat. Hier bin ich zum Profi geworden und hatte meine beste Zeit. Ich denke, dass ich eine besondere Art hatte, Fußball zu spielen, weil ich es auf dem Bolzplatz gelernt habe, weil ich nie in einem NLZ war, weil ich ein Straßenfußballer war.“