Profis 23.07.2017 - 13:00 Uhr
Schwarz: "Die Grundordnung wird überbewertet"
05-Trainer Sandro Schwarz mit einem Zwischenfazit aus dem Trainingslager in Grassau, den Kader & Einblicken in die Arbeit der 05er
Sandro Schwarz wechselte im Alter von 16 Jahren an den Bruchweg, trug das 05-Trikot von 1995 bis 2004 im Nachwuchsbereich und in 101 Zweitliga-Einsätzen als Spieler. Nach dem Bundesliga-Aufstieg unter Jürgen Klopp trennten sich die Wege - vorerst. Im Sommer 2013 kehrte der heute 38-Jährige zurück in die Heimat, übernahm zunächst die U19-Junioren des FSV, danach die U23 in der dritten Liga. Seit dem ersten Juli ist Schwarz Cheftrainer der Bundesliga-Profis. Nach rund drei Wochen Sommervorbereitung sprach der neue Chefcoach im Trainingslager in Grassau mit www.mainz05.de über die ersten Wochen im Amt, die neue Aufgabe als Bundesliga-Trainer sowie über seine Fußball-Philosophie.
Sandro, drei Wochen Vorbereitung sind um, das Trainingslager in Grassau neigt sich dem Ende entgegen. Kannst du ein kleines Zwischenfazit ziehen?
Schwarz: Es ist eine ganz klare Entwicklung zu erkennen, wie wir uns als Gruppe zusammen finden. Das geschieht mit einer großen Offenheit. Es fühlt sich fast an, als wären wir schon länger zusammen. Insbesondere in den Tagen in Grassau habe ich den Eindruck, dass dieser Prozess sich noch einmal beschleunigt hat. Auch ich hatte einen großen Respekt vor der neuen Aufgabe und den damit einhergehenden Aufgaben. Das betrifft nicht die Trainingsintensität, sie unterscheidet sich nicht wesentlich im Vergleich zur U23. In erster Linie ist es das gesteigerte öffentliche Interesse und die Arbeit mit den Medien, die andere Dimensionen hat. Wir nehmen das im Team aber gerne genauso an - das gehört zum Job dazu - und werden die Heimreise am Montag mit einem guten Gefühl antreten, weil hier alles gepasst hat für uns. Die Jungs waren enorm fleißig. Verbunden mit dem gesamten Ambiente vor Ort stimmt das Gesamtbild absolut.
Du warst 2003 als Spieler hier. Was hat sich verändert in dieser Zeit verändert in Grassau, aber auch im Profifußball?
Schwarz: So frisch sind meine Erinnerungen hieran nicht mehr. Die Trainingsplätze habe ich noch vor Augen, die Gebäude sind ausgebaut worden. Wir können hier unter optimalen Bedingungen arbeiten. Im Fußball hat sich enorm viel verändert. Besonders wenn man an die Trainingsinhalte denkt. Athletiktraining bestand bei uns aus Liegestützen und Bauchmuskeltraining. Da haben wir, auf gut Deutsch gesagt, schon 'gekotzt'. Gerade in diesem Bereich sehe ich die größten Veränderungen. Die Spiele sind insgesamt schneller geworden, wodurch die Intensität gestiegen ist. Auch im taktischen Bereich hat sich ohne Frage viel getan.
Der taktische Bereich hat in den ersten Wochen eine große Rolle gespielt. Du sprichst häufig von euren Prinzipien an. Worauf genau basieren diese?
Schwarz: Es ist eigentlich ganz einfach. Wir wollen sehr aktiv in der Arbeit gegen den Ball sein und zu jeder Phase der Spiele Lösungsmöglichkeiten haben. Zwar ist ballbesitzorientierter Fußball ein Ansatz, wir wissen aber gleichzeitig, dass das Vorwärtsverteidigen immer die Basis von Mainz 05 sein muss. Das bedeutet aber keinesfalls nur Angriffspressing, sondern Aktivität in allen Bereichen sowie Druck auf den ballführenden Gegenspieler. Dazu streben wir ein sauberes Positions- und Umschaltspiel an. Wir wollen Automatismen schaffen, befinden uns da aber in einem nie endenden Prozess, einer kontinuierlichen Entwicklung. Ziel ist es, je nach Gegner und Spielverlauf flexibel reagieren zu können, und das in jeder Phase eines Spiels. Extrem wichtig ist es, die Spieler immer wieder darauf hinzuweisen, was gut war, aber auch darauf einzugehen, was besser werden kann. Das machen wir im Trainerteam sowohl auf als auch neben dem Platz in Videoanalysen.
Auch, was die Systemfrage angeht, möchtest du variabel sein. Ist es denkbar, auch während der 90 Minuten taktisch einzugreifen und umzustellen?
Schwarz: Das System ist gar nicht so entscheidend, die Grundordnung wird in meinen Augen überbewertet. Entscheidend sind die Verhaltensweisen. Wir können uns über Anlaufverhalten oder Umschaltspiel unterhalten. Das funktioniert aber alles nur, wenn die Basis stimmt. Alle zehn Feldspieler müssen immer wieder Situationen erkennen und antizipieren, dabei zudem wissen, in welchem Raum sie sich zu bewegen haben. Das ist das Schwierigste im Fußball und unabhängig vom System die eigentliche Herausforderung. Wir sind da auf einem ordentlichen Weg, haben in den Testspielen und den Trainingseinheiten sehr viel Positives gesehen. Die intensive und engagierte Arbeit auf dem Platz zahlt sich aus. Es wartet aber auch ganz klar noch viel Arbeit auf uns.
Sandro Schwarz mit seinem Trainerteam, bestehend aus Jan-Moritz Lichte (li.) & Michael Falkenmayer (Mitte). ©rscp
Wo siehst du in erster Linie Ansatzpunkte?
Schwarz: Viel Ballbesitz und mehr Balleroberungen als der Gegner erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit. Das sind zwei Ansatzpunkte. Vor allem wollen wir aber auch schneller in die Box und vor das Tor des Gegners kommen, den Abschluss suchen. Hier können wir zielstrebiger werden. Im letzten Drittel will ich Schüsse und Schnittstellenpässe sehen. Das sind für uns Gradmesser und in diesem Bereich darf jeder auch das Risiko suchen. Zudem werden wir auch an unserem Abwehrverhalten bei gegnerischen Standards arbeiten. Das ist ein weiterer Schwerpunkt. Vorne haben wir gute Schützen und viele kopfballstarke Spieler.
Jede Trainingseinheit ist von hoher Intensität geprägt. Wie bewertest du das Auftreten der Spieler angesichts des großen Konkurrenzkampfs?
Schwarz: Ich finde es großartig, wie die Jungs mit der Situation umgehen, wie professionell sie hier im Trainingslager auch eigenverantwortlich arbeiten. Jeder möchte in Form kommen, die Begeisterungsfähigkeit der Gruppe ist spürbar. Wir werden alle Spieler brauchen, denn eine klassische Stammelf wird es nicht geben.
Wir haben fünf Neuzugänge dazu bekommen. Einige Spieler fehlen in Grassau. Wie bewertest du die Kadersituation insgesamt?
Schwarz: Natürlich hätten wir Gaetan Bussmann, Alexander Hack, Emil Berggreen oder Jean-Philippe Gbamin gerne dabei gehabt. Bei ihnen war es aber sinnvoller, in Mainz individuell Fortschritte zu machen. Die Neuen präsentieren sich überragend, auch weil sie offenherzig aufgenommen wurden und sich so schnell integrieren können. Da möchte ich keinen hervorheben, denn jeder Einzelne erfüllt die Erwartungen bis jetzt zu 100 Prozent.
Am Freitagabend habt ihr abends gemeinsam mit den Fans gegessen. Dein Eindruck?
Schwarz: Der Abend hat die Woche hier wunderbar abgerundet. Wir hatten optimale Bedingungen und sind auf viele freundliche Menschen getroffen. Dass Fans einen Teil ihres Jahresurlaubs nehmen, um die Mannschaft zu begleiten, ist ein tolles Zeichen, der Meinungsaustausch mit den Anhängern bei einem solchen Grillabend absolut wichtig.
Noch ungeklärt ist die Kapitänsfrage und die Bestimmung des Mannschaftsrats. Wann willst du dich diesbezüglich festlegen?
Schwarz: In der Woche nach dem Newcastle-Spiel werden wir den Kapitän und seinen Stellvertreter bestimmen, den Mannschaftsrat danach wählen lassen.
Habt ihr euch intern bereits bezüglich Saisonzielen abgestimmt?
Schwarz: Das ist im Moment gar nicht greifbar. Wir wollen erst einmal, dass die Leute glücklich sind mit der Art, wie wir Fußball spielen. Das ist das höchste Ziel überhaupt und nicht messbar. Die Frage muss lauten: "Mit welchem Gefühl verlassen die Fans, die Spieler und auch wir Trainer das Stadion?" Die Menschen sollen Spaß haben, Mainz 05 Fußball spielen zu sehen.
Du hast kürzlich ganz konkret gesagt, dass die Anhänger das Gefühl haben sollen, dass jeder Spieler sich komplett für Mainz 05 zerreißt. Was erwartest du während der 90 Minuten von deiner Mannschaft?
Schwarz: Wir wollen grundsätzlich alles daran setzen, jedes verdammte Spiel zu gewinnen. Wir wollen bei jedem Abpfiff die absolute Wettkampfmentalität auf den Platz bringen. Auch wenn es mal nicht so läuft, muss diese Einstellung sichtbar sein. Die schwierigen Wochen am Ende der vergangenen Saison sind da ein gutes Beispiel, wie es bei Mainz 05 laufen muss. Der Abstiegskampf hat die ganze Stadt daran erinnert, dass wir die Bundesliga-Zugehörigkeit wieder mehr schätzen lernen müssen. Man spürt eine positive Stimmung im Umfeld. Das wollen wir auch auf die Spieler übertragen.
Als Spieler ist dir ein Bundesliga-Einsatz verwehrt geblieben. Spürst du schon ein Kribbeln hinsichtlich des Auftakts?
Schwarz: An das erste Bundesliga-Spiel denke ich noch nicht. Ich freue mich zunächst einmal auf die OPEL ARENA am nächsten Wochenende gegen Newcastle – gegen einen tollen Traditionsverein aus der Premier League mit Rafael Benitez an der Seitenlinie. Hinzu kommt das Stadionfest. Der komplette Rahmen stimmt. Aktuell wollen wir aber einfach von Tag zu denken. Die Anspannung und das Adrenalin kommen dann automatisch. Wir dürfen auch das Pokalspiel in Lüneburg nicht vergessen. Auch dort müssen wir top vorbereitet antreten, denn jedes Spiel ist für uns eine Verpflichtung!
Weitere Eindrücke aus dem Trainingslager der 05er unter:
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