Profis 02.04.2013 - 18:00 Uhr
Kein Alibi, eine Verpflichtung
Thomas Tuchel und die Frage, ob man im 05-Trikot groß denken darf
Am Samstagnachmittag hielt es wieder einmal Einzug in die Coface Arena, das leidige Hättewärewenn. Nicht zum ersten Mal zeigte es sein Gesicht abseits des Platzes, auf dem die 05er zuvor Punkte liegen gelassen hatten. Gegen den SV Werder Bremen dieselbe Leier, wie leider schon zu oft. Gut gespielt, noch bessere Chancen erarbeitet, allein die Torausbeute ließ zu wünschen übrig. Werder-Keeper Mielitz vereitelte gemeinsam mit dem Pfostenmetall und mangelnder letzter Konsequenz im Abschluss einen 05-Heimsieg gegen Werder. „Das MUSST du gewinnen“, schimpfte Julian Baumgartlinger nach Abpfiff, „wenn du solche Chancen hast und dann den Ball nicht reinmachst …“
Dann Anlass zur Weltuntergangsstimmung? Oder dann Schwamm drüber, denn man ist ja immer noch sechster in der Tabelle? Eine schwierige Frage aktuell, denn eigentlich verpflichtet die Geschichte des FSV dazu, zufrieden zu sein mit einem Punkt gegen den Weltverein Werder Bremen, der schon deutsche Meisterschaften, Pokalsiege und UEFA-Cup-Gewinne gefeiert hat. Vor gut zehn Jahren hat man noch davon geträumt, überhaupt mal gegen Bremen in der Bundesliga spielen zu dürfen. Aber wer das Spiel gegen Werder gesehen hat oder die Konstanz, mit der sich die 05er in den letzten Jahren nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in deren oberer Tabellenhälfte festgebissen hat, der fragt sich: Ist es wirklich Frevel oder eigentlich eher gerechtfertigt, sich über „nur“ einen Punkt gegen den Club von der Weser aufzuregen? Auf den Social-Media-Plattformen des 1. FSV Mainz 05 entbrannte diese Diskussion in den Kommentaren zum Spiel. Während einige die mangelnde Chancenverwertung als ewige Krux in dieser Saison belärmen, mahnen andere zur Zurückhaltung, immerhin sei man doch Mainz 05, da müsse man dankbar sein für jeden Punkt gegen namhafte Gegner.
Das 05-Trikot als Alibi dafür, sich auch mit mittelmäßiger Ausbeute zufrieden geben zu können? Ganz im Gegenteil – laut Coach Thomas Tuchel ist das rot-weiße Leibchen sogar eine Verpflichtung. „Klar wissen wir, wo wir herkommen. Aber ich bin der Auffassung, dass sich die aus dem Wissen um unsere Wurzeln entwickelte Bescheidenheit und die Tatsache, dass wir uns ärgern dürfen, weil wir gegen Bremen nicht gewonnen haben, nicht ausschließen“, sagt Tuchel. Sich trauen groß zu denken, das steht den 05ern nach Tuchels Auffassung nicht nur frei, sondern auch gut zu Gesicht. Schließlich hat sich seine Mannschaft den Respekt in der Liga und die gute Tabellensituation selbst hart erarbeitet. „Wir, die kleinen Mainzer – unsere Wurzeln sollen kein Alibi sein, und so haben wir im Übrigen auch nie gespielt oder eine Saison gelebt. Wir sind aktuell in einer komfortablen Situation, und wir dürfen träumen. Immerhin haben wir uns in den vergangenen Jahren konstant in der oberen Tabellenhälfte halten können. Aber das bedeutet jetzt nicht, dass wir uns zurücklehnen und nicht weiterentwickeln möchten.“ Da geht noch was, ist es, was Thomas Tuchel sagen möchte. Nicht so sehr in platt formulierten Zielen wie Klassenerhalt, Europa, Champions League, sondern eher im Hinblick auf die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung. Trainer Tuchel: „Wir müssen uns im Spiegel anschauen und uns fragen: Haben wir alles gegeben? Erst wenn wir das positiv beantworten können, ist das eine gute Basis. Aber eben nur die Basis – gegen Bremen haben wir viel gegeben, aber nicht berauschend gespielt. Wir sind als Mannschaft schwer zu schlagen, aber es liegen noch zu viele Punkte rum.“
Nicolai Müller, Andreas Ivanschitz, Nikki Zimling – sie alle hatten das Tor auf dem Schlappen bzw. auf dem Kopf, aber am Ende trafen nur die Bremer noch mal zum Ausgleich. Für Tuchel ein Wechselbad der Gefühle. „Klar ärgere ich mich wahnsinnig. Aber gleichzeitig finde ich es auch schon toll, dass wir uns solche hochkarätigen Chancen erarbeiten. Es geht mir das Herz auf wenn ich sehe, wie Nicolai Müller mit dem Außenrist den Ball über drei Leute hebt und auf Andi im Sechzehner spielt“, er läutert der Coach. Man solle gar nicht anfangen zu rechnen, wo man wäre mit etwas mehr Effektivität im Abschluss. Solche Rechenspiele sind aber laut Tuchel müßig. „Vielleicht ist es einfach Realität, wenn man so oft im Konjunktiv redet. Vielleicht sind wir einfach nicht effektiv genug, um noch weiter vorne in der Tabelle stehen zu können. Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, wie schwer wir damals gestartet sind – die Sache verfolgt uns ja schon die ganze Saison.“ Doch die aktuelle Situation dient Tuchels Auffassung nach eher als Ansporn denn als Entschuldigung. Auch wenn die Ausbeute nicht immer optimal ist, es lohnt sich, sich zu strecken.
„Die Tabelle misst nicht, was man investiert. Aber die Höhe der Investition erhöht auch die Chance auf Erfolg. Die Saison ist noch nicht vorbei – wir wollen das Ding in ihren letzten sieben Wochen jetzt auspressen.“ Bis zum letzten Tropfen. Alles geben. In diesem Bereich hat sich Mainz 05 nie aus der Verantwortung gezogen.