Verein 13.05.2016 - 14:45 Uhr
„Es fühlt sich irgendwie unwirklich an…”
Christian Heidel letztes Interview als Manager von Mainz 05
Es ist das letzte Interview als Manager des 1. FSV Mainz 05 und das ist Christian Heidel sehr wohl bewusst. Eine komische, unwirkliche Situation - und doch die Realität. Gerade in den vergangenen Tagen sind ihm die vielen Erlebnisse aus einem Vierteljahrhundert Mainz 05 immer wieder durch den Kopf geschossen „und mir wird dann immer wieder deutlich, wie stark Mainz 05 mein Leben geprägt hat“. Deswegen habe er schon ein wenig Angst vor dem Abpfiff der Saison. Es ist sein endgültiger Schlusspfiff.
Mainz 05 hat sich zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren sportlich für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert. Das ist in diesem Zeitraum nur Bayern München, Borussia Dortmund, Bayer 04 Leverkusen, Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach gelungen. Welchen Stellenwert hat dieses Saisonfinale für Mainz 05 sportlich?
Heidel: "Es ist eine grandiose Leistung von Trainer und Mannschaft. Weder ein großer Umbruch im vergangenen Sommer, noch erhebliche Verletzungsprobleme haben uns längere Zeit aus dem Tritt bringen können. Vor dem letzten Spiel ist Mainz 05 die fünftbeste Mannschaft Deutschlands. Darauf können alle stolz sein."
Einschneidend ist dieser 34. Spieltag für Mainz 05 auch, weil es nach 24 Jahren Ihr letzter als Manager für den Verein sein wird. Mit welchen Gedanken gehen Sie in diese Partie?
Heidel: "Es fühlt sich für mich irgendwie unwirklich an, obgleich es Fakt ist. Ich habe in der letzten Zeit oft an meinen Start im April 1992 denken müssen. 24 Jahre hat mein Weg mit Mainz 05 jetzt gedauert. Mir gehen so unzählig viele Dinge aus dieser Zeit durch den Kopf und mir wird dann immer wieder deutlich, wie stark Mainz 05 mein Leben geprägt hat. Deswegen habe ich schon ein wenig Angst vor dem endgültigen Schlusspfiff."
Es ist öffentlich viel spekuliert worden über die Gründe für Ihren Abschied. Wie würden Sie diese auf den Punkt bringen?
Heidel: "Ich bin damit immer sehr offen und ehrlich umgegangen. Es ist eine sehr private und persönliche Entscheidung, die ich auf einer Trauerfeier für einen verstorbenen, sehr guten Freund getroffen habe. Es hatte rein gar nichts mit Schalke 04 zu tun. Meine Freunde wissen das. Der Verein war über meine Überlegungen seit über einem Jahr informiert auch über alle Gespräche mit Schalke 04. Ich habe weder das Thema in die Öffentlichkeit gebracht noch habe ich ein einziges Mal Druck auf den Vorstand ausgeübt eine Freigabe zu bekommen."
Kann man nach 24 Jahren Tätigkeit für seinen Heimatverein noch Fan eines anderen Klubs werden?
Heidel: "Gute Frage, die mir oft gestellt wurde und die ich nicht beantworten kann, da mir jegliche Erfahrungswerte fehlen. Ich werde mich in eine neue, spannende Aufgabe stürzen und dann sehr schnell feststellen, welche emotionale Bindung ich zu Schalke aufbauen werde. Langweilig ist dieser Verein sicher mal nicht."
Wie würden Sie Ihre Zeit bei Mainz 05 in wenigen Stichworten zusammenfassen?
Heidel: "Ich bin mit Gedanken an Mainz 05 schlafen gegangen und mit Gedanken an Mainz 05 aufgewacht. Niederlagen haben mir persönlich wehgetan und Siege meinen Alltag positiv beeinflusst. Habe ich ein 05-Thema abgearbeitet, ist mir das nächste schon wieder eingefallen. Sicherlich habe ich auch nicht selten genervt. Ich möchte immer weiterentwickeln. Das ist mein Naturell."
In der langen Liste emotionaler Ereignisse mit den 05ern – welche überstrahlen die anderen und warum?
Heidel: "Natürlich überstrahlt der erste Aufstieg alles. Mainz 05 in der Bundesliga. Zwölf Jahre hat es gedauert. 1997, 2002 und 2003 am letzten Spieltag gescheitert und dann wirklich, auch am letzten Spieltag geschafft. Ich konnte zuerst gar nicht jubeln und war wie in Trance. Niemand hatte uns das zugetraut, viele haben zunächst gelacht. Auch die Anfangszeit mit den Amateuren, gemeinsam mit Manni Lorenz und Rocky Mayer, werde ich nie vergessen. Gestartet sind wir als die schlechteste zweite Mannschaft Deutschlands in der B-Klasse. Heute sind wir die Nr. 1 und spielen vor 30.000 in Dresden. Das ist wirklich alles wie im Film."
Welcher Spieler war eigentlich Ihr erster Transfer?
Heidel: "Gute Frage. Begonnen habe ich ja gemeinsam mit meinem Freund Peter Arens und Sven Demandt war wohl einer der ersten Transfers, den wir gemeinsam abgewickelt haben. Hätte schlechter kommen können."
Wie viele Transfers haben Sie seitdem abgewickelt?
Heidel: "Ach Gott, das weiß ich wirklich nicht. Es waren sehr viele und viele haben leider auch nicht funktioniert. Das gehört zum Fußball dazu. Ein Statistiker hat mir gesagt, dass ich wohl um die 1.000 Pflichtspiele in der Verantwortung stand. In 24 Jahren habe ich drei Zweitligaspiele, ein Bundesligaspiel und zwei Uefa-Cupspiele in Armenien und Island verpasst, da ich zur Auslosung in die Schweiz musste und es keine Flugverbindungen gab."
Gibt es denn auch Dinge, die Sie im Nachhinein anders entscheiden würden?
Heidel: "Da gibt es bestimmt einige, aber zum Glück keine gravierenden. Das heißt natürlich nicht, dass alles richtig war. Aber im Fußball kommt es in meinen Augen in erster Linie auf drei Dinge an: Sportlicher Erfolg, wirtschaftlicher Erfolg und der Verein muss vielen Menschen sehr wichtig sein. Das haben wir alle gemeinsam ganz gut hinbekommen."
Welchen Rat möchten Sie uns 05ern für die Zukunft mit auf den Weg geben?
Heidel: "Ich möchte bestimmt nicht als Oberlehrer auftreten. Das steht mir nicht zu. Es wird sehr wichtig sein, dass auch in Zukunft der Verein im Mittelpunkt aller Überlegungen steht und nicht die Personen. Das war immer mein Credo in 24 Jahren Mainz 05, obgleich ich medial oft im Vordergrund stand."
Über Ihren neuen Arbeitgeber Schalke 04 werden Sie erst bei Ihrer offiziellen Präsentation dort reden. Wann wird die sein – und wie sieht Ihr persönlicher Fahrplan bis dorthin aus?
Heidel: "Da wartet sehr viel Arbeit auf mich, die ab Montag beginnen wird. Ich bin sehr gespannt und freue mich sehr auf eine neue Herausforderung in meinem Leben."
"Darf ich noch was sagen?"
Natürlich, sehr gerne.
Heidel: "Ich möchte mich bei allen 05ern bedanken, dass ich so lange für diesen großartigen Verein arbeiten durfte. Bei unserem Vorstand um Harald Strutz, der es 1992 gewagt hat einem verrückten Amateurfußballer Profifußball zuzutrauen. Bei vielen Trainern, von Wolfgang Frank über Kloppo, Thomas Tuchel bis zu dem fantastischen Martin Schmidt, die mich alle geprägt haben. Bei Axel Schuster, meiner Sekretärin Melanie und unseren tollen Mitarbeitern. Viele sind in der Zeit zu Freunden geworden und ohne sie alle wäre ich gar nichts. Dank natürlich auch an unsere Fans, vom Ultra bis zum Rentner, zu denen ich sicherlich immer ein ganz besonderes Verhältnis hatte. Ich durfte schimpfen ohne geschimpft zu werden. Das gespürte Vertrauen hat mir immer so viel Kraft gegeben. Ein herzliches Dankeschön an meinen Freund Milan, den besten Vereinswirt der Welt. Ich werde euch alle so vermissen. Das größte Dankeschön geht aber an meine Familie, die diesen Zirkus 24 Jahre akzeptiert, unterstützt und mitgemacht hat. Ich befürchte es geht weiter so …"
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zeit auf Schalke!