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Profis 09.04.2023 - 14:30 Uhr

"Die Geschichte war doch schon geschrieben"

Im Anschluss an eine dramatische Schlussphase gegen Werder Bremen begaben sich die 05ER noch in der MEWA ARENA auf Erklärungssuche. Svensson: "Sieg heute verschenkt"

Mit den Einwechslungen von Jae-sung Lee & Karim Onisiwo läutete Bo Svensson eine stürmische Schlussphase ein.

Eigentlich war die Bühne für die große Schlusszeremonie bereitet, als Ludovic Ajorque das permanente Bearbeiten der extrem wehrhaften Gäste-Abwehr in der 85. Minute zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht und dem 1. FSV Mainz 05 mit seinem vierten Treffer scheinbar zu einem weiteren Sieg in dieser so erfolgreichen Rückrunde verholfen hatte. Doch der französische Mittelstürmer löste mit dem 1:0 eine Dynamik aus, eine emotionale Achterbahnfahrt, an deren Ende die Mainzer mit betretenen Gesichtern dastanden, als hätten sie verloren, während die Spieler von Werder Bremen in der ausverkauften MEWA ARENA mit ihren Fans das 2:2 in letzter Sekunde feierten wie einen unverhofften Titelgewinn. "Die Geschichte war doch schon geschrieben", sagte Martin Schmidt einigermaßen fassungslos in der Mixed Zone.

Spektakuläre Schlussphase

Dem Sportdirektor des FSV waren zuvor dieselben Gedanken durch den Kopf gegangen wie allen auf Seiten der Gastgeber, wie den rund 30.000 FSV-Anhängern auf den Tribünen. Es brauchte wenig Fantasie, um sich vorstellen zu können, was im Stadion los gewesen wäre, wenn das, was in der dritten Minute der Nachspielzeit passierte, den Schlusspunkt dargestellt hätte, wie es normalerweise hätte sein müssen: Nelson Weiper, in der 88. Minute eingewechselt, gelang die erneute Führung zum 2:1 - der vermeintliche Siegtreffer. Der jüngste Mann auf dem Platz hätte zum zweiten Mal in seiner jungen Karriere als Held des Tages auf den Zaun gedurft, um die Feierlichkeiten mit den Fans zu zelebrieren. Doch es kam anders. Die 05ER handelten sich wie schon zuvor nach dem Ajorque-Tor postwendend den Ausgleich ein. Statt unbändiger Freude über einen hart erkämpften und letztlich verdienten Erfolg über einen unbequemen Gegner herrschte Tristesse, weil sich die 05-Profis in diesem spektakulären Finish zweimal die Butter vom Brot nehmen ließen.

Die pure Erlösung: Nelson Weiper & Dominik Kohr wähnten das 05-Team in der 94. Minute, wie der Großteil der 33.305 Fans in der MEWA ARENA, auf der Siegerstraße.

Konsterniert & geschockt

"Tja", sagte Schmidt, ein positives Fazit suchend, "achtmal in Folge nicht verloren, das darf man herausstreichen. Auch, dass wir in der zweiten Halbzeit die bessere Mannschaft waren, gefährlicher waren und verdient in Führung gegangen sind. Normalerweise gibt das einen 1:0-Sieg. Ich glaube, dass die Spieler das auch gedacht haben. Dann kriegst du im Gegenzug ein Tor. Das darf dir einmal passieren, aber natürlich nicht zweimal. Und am Ende sind wir alle etwas konsterniert und geschockt, weil der Gegner zweimal zurückgekommen ist. Und wenn das so ist", sinnierte der Schweizer, "dann hat er vielleicht den Punkt auch verdient. Es ist sehr ärgerlich für uns, denn das Ergebnis täuscht über die gute zweite Halbzeit hinweg und über das Spiel, dass wir doch mehr und mehr in unsere Bahnen gelenkt haben. Der Sieg wäre von der Leistung her sicherlich verdient gewesen. Die Realität aber bringt einen Punkt. "

Das 2:2 fühle sich nicht wie eine Niederlage an. "Wir müssen aber kritisch damit umgehen", erklärte der Cheftrainer. "Es ist eine Enttäuschung, es sind zwei verlorene Punkte. Wenn du so spät zweimal in Führung gehst, dann muss man schon sagen, dass wir den Sieg heute verschenkt haben", sagte Bo Svensson. Darüber, wie so etwas passieren konnte in einer Partie, in der die Mainzer Defensive zuvor über 85 Minuten lang alles wegverteidigt hatte, das sonst so gefährliche Bremer Angriffsduo mit Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug über weite Strecken gut im Griff hatte, gab es nach dem Abpfiff verschiedene Auffassungen. Für Schmidt waren die beiden unnötigen und schnellen Gegentore zum zweimaligen Ausgleich Kopfsache. "Ich glaube, dass man es nicht im Defensivverhalten und im fußballerischen Bereich suchen muss, sondern in der Konzentration", sagte der 55-Jährige. Weil besonders der Führungstreffer von Weiper einen besonderen Jubel ausgelöst habe. Ein Gefühl, dass nun alle über die Bedeutung dieses Tores nachgedacht und überlegt haben könnten, wie es nun weitergehen könne. Und dass so etwas doch nicht zweimal in einem Spiel passiere. "Es war eigentlich ein Sieg. So dachte die Mannschaft wahrscheinlich auch. Und deshalb wurde es keiner", sagte der Sportdirektor.

Enttäuschung über verlorene Punkte

"Das mit der Kopfsache glaube ich eher nicht, aber ich kann mich natürlich täuschen“, erwiderte Bo Svensson dem. "Ich finde, dass es taktische Fehler waren. Nach dem 1:0 war es ziemlich klar, dass wir nicht gut in der Box stehen. Das muss man einfach sagen. Wir haben die falschen Entscheidungen getroffen. Auch beim 2:2 machen wir einige Fehler, die wir nicht machen müssen, wenn der Gegner nur lange Bälle spielt.“ Die Frage, ob sein Team nach dem Weiper-Treffer vielleicht zu euphorisch gewesen sei, konterte Svensson mit einer Gegenfrage. "Sollst du ruhig zurück zur Mittellinie zurücklaufen, wenn du in der 93. Minute das 2:1 schießt? Das kann man natürlich so sehen, aber ich glaube es nicht.“

Die turbulenten Schlussminuten überlagerten jedenfalls komplett eine bis dahin enge, ständig umkämpfte Partie, in der sich beide Mannschaften nichts schenkten, in der jeder kleine Vorteil hart erarbeitet werden musste. Vor allen Dingen in der ersten Halbzeit, die der 05-Coach als "zäh" bezeichnete, in der es kaum Torchancen gab, in der nicht viel los war. "Beide Mannschaften haben sich mehr oder weniger neutralisiert“, sagte Svensson. "Ich fand, dass die Abläufe, die Bewegung im Strafraum von unseren Stürmern nicht das war, was ich mir gewünscht habe. Wir hatten zu wenig Tiefgang, um hinter die Bremer Kette zu kommen. Zu viele Spieler, die nur den Ball in den Fuß gespielt haben wollten. Am Ende war es nur lang auf Ajorque und keine Staffelung dahinter. Das hat auf mich nicht gedankenschnell gewirkt. Wenn wir ins letzte Drittel wollen, muss die Flankenqualität, aber auch das Freilaufverhalten besser sein“, so der Trainer. "Nach der Pause haben wir mehr Druck gemacht, waren aktiver. Die eingewechselten Jae-sung Lee und Karim Onisiwo haben unser Spiel positiv beeinflusst. Danach waren wir wesentlich gefährlicher. Ich hatte das Gefühl, wer in Führung geht, wird gewinnen. Dann aber haben wir unerklärlich zwei Situationen schlecht verteidigt am Ende."

09.04.2023

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Verteidiger üben Selbstkritik

Und genau das kreideten sich die Mainzer Abwehrspieler selbst an. "Das erste Tor war taktisch schlecht gemacht, dass wir nach dem Anstoß ein Kopfballduell nicht gewinnen und außen der Weiser fünf Sekunden Zeit hat, sich den Ball zurecht zu legen. Das können wir einfach nicht machen“, erklärte Stefan Bell. "Das zweite Tor war anders. Da haben wir zweimal geklärt, aber nicht komplett. Dann so ein Gewurschtel an der Sechzehner-Linie, wo man als Verteidiger immer guckt, dass man keinen Elfmeter verursacht. Und dann sieht es einfach grausam aus, wie das Tor fällt. Es ist unbefriedigend, weil es ein Spiel war, in dem wir auf jeden Fall ohne Gegentor bleiben können. Es ist bitter, aber es hilft ja nichts. Es gibt klare inhaltliche Punkte, die wir ansprechen müssen. Klar, es fühlt sich jetzt schlecht an und keiner freut sich hier über den Punkt.“

Bells Nebenmann sah es noch kritischer. "Es ist kein gutes Gefühl, einen solchen Schluss zu erleben und die Punkte wegzugeben“, betonte Andreas Hanche-Olsen. "Es ist fast schon ein Desaster und nicht zu akzeptieren, dass wir das Spiel nicht gewinnen, dass wir ihnen erlauben, zwei solche Tore zu schießen. Wir sind doch keine Kinder, die nach einem Tor ihre Gedanken nicht beisammenhaben. Nein, das ist nicht gut. Es ist frustrierend. Bleib fokussiert, bleib konzentriert, dann passiert nichts.“ Ajorque fügte hinzu. "Wir werden das analysieren und gründlich aufarbeiten müssen, dann muss es weitergehen.“ Und am kommenden Samstag (15.30 Uhr) geht es weiter mit einem Auswärtsspiel beim 1. FC Köln, wo der FSV in bisher zwölf Anläufen in der Bundesliga erst einmal gewonnen hat.