Verein 09.07.2013 - 15:29 Uhr

Eine Frage der Perspektive

Manager Christian Heidel im Interview: Personalplanungen fast abgeschlossen

Während der Vorbereitungszeit bleibt das Handy von 05-Manager Christian Heidel nur selten still.

Noch dreieinhalb Wochen bis zum ersten Pflichtspiel und ganze acht bis zum Ende der diesjährigen Sommer-Transferperiode: Beim 1. FSV Mainz 05 liegt die volle Konzentration längst auf der Arbeit mit der Mannschaft und konkreten Trainingsinhalten. Die Personalplanungen für das achte Mainzer Jahr in der Bundesliga sind zu diesem frühen Zeitpunkt schon fast abgeschlossen, das Feld für die kommende Saison ist bestellt. Während die Mannschaft im Kanton Wallis am Berg die eigenen körperlichen Grenzen auslotet, haben wir mit Christian Heidel ein Zwischenfazit der Vorbereitung gezogen. Hier ist Teil eins des Interviews mit dem Manager des 1. FSV Mainz 05.

Herr Heidel,  warum sind die Personalplanungen in diesem Jahr schon so weit vorangeschritten?

Christian Heidel: "Aufgrund der sehr guten Vorrunde hatten wir schon im Winter Planungssicherheit für die nächste Bundesligasaison. Es ist ja nicht so, dass wir erst mit Beginn der Transferperiode den Markt sondieren. Das Transfergeschäft läuft eigentlich das ganze Jahr über. Die Planung für die folgende Saison beeinflusst schon die Entscheidungen, die wir in der Wechselperiode im Winter treffen müssen. Niki Zimling ist so ein Beispiel für einen vorgezogenen Transfer, der bereits perspektivisch für den Sommer angedacht war. Die Planungen für den Sommer nehmen für das Trainerteam und mich dann im Frühjahr richtig Fahrt auf. Gemeinsam beobachten und verfolgen wir den Weg bestimmter Spieler, entwickeln Ideen und verwerfen auch manche davon wieder. Je früher wir aber interessanten Spielern konkrete Perspektiven bei uns aufzeigen können, desto besser für uns. Denn der Markt, auf dem wir uns bewegen, wird für uns immer umkämpfter."

Woran liegt das?

Christian Heidel: "Wir spielen jetzt im fünften Jahr in Folge in der Bundesliga. Das ist für Mainz 05 eine großartige Entwicklung, die aber auch einhergeht mit einem qualitativen Sprung, den die Mannschaft dank der Arbeit von Thomas Tuchel und seinem Team in den vergangenen Jahren gemacht hat. Das gehobene Niveau, das wir zur Qualitätssteigerung des Kaders ins Auge fassen müssen, können wir grundsätzlich nicht in Form von fertigen Bundesliga-Spielern einkaufen, weil die Kombination aus Ablösesummen und Gehältern unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten in der Regel übersteigt. Darüber hinaus konkurrieren wir heute auch mit Vereinen wie beispielsweise Hannover 96, Borussia Mönchengladbach oder Eintracht Frankfurt um Spieler – und diese Klubs haben alle ein paar Millionen Euro mehr im Spieleretat zur Verfügung. Ich will mich aber gar nicht beklagen, denn auch dieser Umstand demonstriert die positive Entwicklung bei Mainz 05. Früher hätten wir gegen diese Konkurrenten auf dem Transfermarkt überhaupt keine Chance gehabt."

Wie wirkt sich das auf die Transferpolitik von Mainz 05 aus?

Christian Heidel: "Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir unsere Mannschaft immer weiter verbessern und entwickeln. Man kann das vergleichen mit der Formel 1, bei der die Rennwagen in jedem Jahr weiter und weiter verbessert werden. Mit einem drei Jahre alten Wagen hast du heute keine Chance mehr, auch wenn dieser damals richtig schnell war. Da wir uns die Qualität nicht immer 1:1 einkaufen können, müssen wir sie eben entwickeln. Wir suchen Spieler, in denen die von uns gewünschte Qualität steckt, die aber vielleicht noch nicht konstant zum Vorschein gekommen ist. Diese Qualität wollen wir entwickeln. Und wir können mit dem Pfund wuchern, dass uns dies regelmäßig gelingt. Thomas Tuchel ist ein Trainer, der diese Spieler besser macht. Dies ist ein wesentlicher Grundsatz unseres Vereins, der in den vergangenen Jahren sehr gut funktioniert hat. Adam Szalai und Nicolai Mülller sind zwei sehr gute Beispiele dafür. Der eine kam aus der dritten Liga Spaniens, der andere als Zweiligaspieler. Heute haben wir Adam für acht Millionen Euro verkauft, Nicolai ist zweifacher deutscher Nationalspieler."

Schmerzt der Abgang von Adam Szalai nicht trotzdem?

Christian Heidel: "Spieler auszubilden und bei einer entsprechenden Leistungsentwicklung wieder abzugeben ist unsere Rolle in der Bundesliga. Wir haben uns vor ein paar Jahren vorgenommen, dass wir diese Spieler nach Möglichkeit in der Bundesliga nur noch an die absoluten Top-Klubs abgeben. Bei Adam ist dieser Fall eingetreten, wie auch schon bei André Schürrle oder Jan Kirchhoff. Adam hätte ohne seine vorzeitige Vertragsverlängerung vor einem Jahr den Verein jetzt ablösefrei verlassen können – und es gab viele Interessenten. Wir haben deswegen die Ausstiegsklausel bei der Verlängerung akzeptiert. Jetzt profitieren Adam und wir von der aktuellen Entwicklung. Wir sind gegenseitig mit dieser Situation sehr offen umgegangen, da bleibt überhaupt kein Beigeschmack – nur die besten Wünsche an ihn für seine Zeit auf Schalke. Für uns ist Adams Wechsel der Auftrag den nächsten Spieler auf dieses Leistungsniveau zu bringen."

Inwiefern sind die Transfererlöse direkt wieder in neue Spieler umgesetzt worden?

Christian Heidel: "Wir geben die Einnahmen nicht sofort wieder aus, auch wenn wir bereits Teile davon in Transferausgaben und Gehälter investiert haben. Wir haben immer auch im Blick, dass wir nicht nur in Spieler, sondern beispielsweise auch in Infrastruktur investieren. Es ist aus unserer Sicht auch nicht sinnvoll, einen großen Transfer 1:1 in nur einen neuen Spieler umzusetzen. Dann wäre das Geld sofort wieder weg. Wir wollen mit unseren Einnahmen, die ja nebenbei auch nicht automatisch alle auf einen Schlag fließen, das gesamte Niveau des Kaders anheben – und zwar perspektivisch über die kommenden zwei Jahre. Eine Kaderplanung umfasst bei uns unter sportlichen und wirtschaftlichen Aspekten immer zwei Jahre und ist ein kompliziertes Spiel aus Vertragslaufzeiten, Marktwerten von Spielern und der Einschätzung von sportlichen Potenzialen. Wir sind zu dieser längerfristigen Planung gezwungen, weil uns die meisten anderen Bundesligisten kurzfristig mit ihren Möglichkeiten immer übertrumpfen können. Darin steckt aber auch eine große Chance für eine kontinuierliche Arbeit."

So haben Sie im Fall Andreas Ivanschitz argumentiert …

Christian Heidel: "Ich bin sehr froh, dass wir einen Trainer wie Thomas Tuchel haben, der diesen in meinen Augen für Mainz 05 alternativlosen Weg der sportlichen und wirtschaftlichen Planung mit uns geht und nicht kurzfristig immer nach Verstärkungen ruft um sich vermeintlich für eine Saison sportlich abzusichern. Thomas hätte es sich auch leicht machen und Andi im Kader behalten können, weil er einfach ein super Junge ist. Seine sportliche Einschätzung über die nächsten zwei, drei Jahre fiel aber anders aus. Da war es gegenüber Andi ehrlicher, die Karten auf den Tisch zu legen. Und es ist im Sinne der Planung auch besser für den Verein. Mit dieser Einstellung hilft der Trainer Mainz 05 erheblich und trägt dazu bei, dass wir uns immer mehr in der Bundesliga etablieren. Wir müssen es auch in Kauf nehmen, dass wir dann gemeinsam unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Auch der Mut dazu hat uns jetzt fünf fast sorgenfreie Bundesligajahre gebracht."

Das Anforderungsprofil des perspektivisch veranlagten Spielers trifft in diesem Jahr fast auf jeden unserer aktuellen Neuverpflichtungen zu.

Christian Heidel: "Das stimmt. In Christoph Moritz, Johannes Geis, Sebastian Polter, Julian Koch und Dani Schahin haben wir genau diesen Typ Spieler verpflichtet. Wir sind bei diesen Spielern von der fußballerischen Qualität überzeugt, gleichzeitig sind es feine Jungs, die auch charakterlich sehr gut ins Team passen. Shinji Okazaki fällt ebenfalls in dieses Raster, auch wenn er mit 27 Jahren schon im mittleren Fußballeralter ist. Auf ihn können wir uns richtig freuen, in Japan ist er eine ganz große Nummer. Bei ihm lief es im vergangenen Jahr in Stuttgart nicht ganz so rund und er hat eine neue Herausforderung gesucht. Nur deshalb ist ein solcher Transfer nach Mainz überhaupt möglich. Hätte er in der vergangenen Saison zehn bis 15 Tore erzielt, hätte ihn Stuttgart nicht abgegeben, er wäre auch nicht finanzierbar gewesen. Wir wollen seine wahren Qualitäten nun wieder wecken. Von der Position her sehen wir Ihn als Stürmer, was er auch in der japanischen Nationalmannschaft sehr erfolgreich spielt. In Stuttgart wurde er in der Regel im Mittelfeld aufgeboten."

Die ähnlichen Spielerprofile legen nahe, dass in diesem Sommer auch eine Kaderverjüngung angedacht war. Stimmt das?

Christian Heidel: "Das ist aufgrund der Situation des Kaders eine Überlegung gewesen, auch wenn ich diese grundsätzliche Diskussion in der vergangenen Saison nicht nachvollziehen konnte. Leistung ist keine Frage des Alters. Das sieht man bei unserer Defensive. Bei der Kaderplanung hat die Frage der Perspektive aber eine Rolle gespielt. Hinzu kam, dass wir das Profil der Mannschaft wieder ein wenig mehr schärfen wollten. Man kann sagen, dass wir Spieler mit sportlicher Perspektive verpflichtet haben, die für einen dynamischen Spielstil stehen, eine gewisse Physis mitbringen und die richtig darauf brennen bei uns zu kicken und sich in der Bundesliga zu beweisen."

Welche Rolle hat bei der Planung die vergangene Rückrunde gespielt, die sportlich ja nicht so verlaufen ist wie erhofft?

Christian Heidel: "Ich wehre mich gegen den pauschalen Vorwurf, die Mannschaft habe eine schlechte Rückrunde gespielt. Das Heimspiel gegen den Hamburger SV und die zweite Halbzeit im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach waren schlecht, keine Frage. Aber sonst hat die Mannschaft auch überzeugende Leistungen gebracht und sich aus unterschiedlichen Gründen nicht selbst belohnt. Zwei Siege mehr, die zum Beispiel gegen Schalke 04 oder in Hoffenheim locker möglich waren, und die Rückrunde hätte in einem ganz anderen Licht gestanden. Fakt ist aber: Am Ende standen nur zwei Siege und das ist natürlich definitiv zu wenig. Deswegen versuchen wir die Mannschaft in der Breite noch stärker aufzustellen um auch einem erneuten, möglichen Verletzungspech besser begegnen zu können." 

Eine Position ist aktuell bei der Kaderplanung noch nicht nach Wunsch besetzt: die des Linksverteidigers. Wie ist da der Stand der Dinge?

Christian Heidel: "Wir sind sehr zufrieden, wie sich die Kaderplanung bisher entwickelt hat. Die Mannschaft hat sich nach und nach wie ein Mosaik zusammengesetzt, so dass wir jede Position doppelt besetzen können. Einen Linksverteidiger würden wir in der Tat gerne noch dazu nehmen. Da sind wir noch dabei den Markt zu sondieren. Das ist die schwierigste Position im Fußball. Aber wir verfallen deswegen nicht in Panik. Auch der aktuelle Kader bietet Optionen über Junior Diaz hinaus."