U23 22.07.2022 - 15:00 Uhr
Siewert: Frischen Rasen riechen & Wissen teilen
Der neue Cheftrainer der U23 im Interview
Nach dem Abschied von Bartosch Gaul hat Jan Siewert die Rolle als Trainer der U23 zunächst interimsweise und nun dauerhaft übernommen.
Im Anschluss an das Trainingslager in Lautenbach im Schwarzwald sprach der 39-Jährige unter anderem über seinen Start in die neue Aufgabe, den Austausch mit Bo Svensson und ein denkwürdiges Gespräch mit Mauricio Pochettino.
Wie hat es sich angefühlt, beim Trainingsauftakt nach dem Abgang von Bartosch von jetzt auf gleich wieder als Trainer auf dem Platz zu stehen?
"Vorweg möchte ich sagen, dass ich sehr gerne noch weiter mit Bartosch zusammengearbeitet hätte, weil ich ihn sowohl menschlich, als auch fachlich sehr schätze und wir gut zusammengearbeitet haben. Aber jetzt fühlt es sich gut an, selbst wieder auf dem Platz zu stehen, näher dran zu sein und frischen Rasen zu riechen."
Wann war für dich klar, dass du die Mannschaft gerne dauerhaft übernehmen möchtest und worin besteht für dich der Reiz deiner neuen Aufgabe?
"Endgültig klar war es für mich nach den gemeinsamen Gesprächen mit Christian Heidel, Martin Schmidt und Volker Kersting. Zudem hat es mir große Freude bereitet, mit der Mannschaft auf dem Platz zu stehen. Dem Verein und mir war bewusst, dass ich irgendwann wieder als Trainer arbeiten möchte. Das ging jetzt schneller als erwartet, denn der Plan war eigentlich, noch ein drittes Jahr in der Junioren-Cheftrainer-Rolle zu arbeiten. Bis ein Nachfolger gefunden ist, werde ich unterstützend die sportliche Entwicklung des NLZ weiter begleiten. Insbesondere in der Betreuung der Top-Talente. Ich bin voller Tatendrang und freue mich auf die neue Aufgabe, auch wenn meine Arbeitstage jetzt erstmal nicht kürzer werden."
Wie hat die Mannschaft den Trainerwechsel aus deiner Sicht aufgenommen? Und inwiefern ist es für die Spieler hilfreich, nun mit dir zusammenzuarbeiten, den sie zuvor als Nachwuchs-Cheftrainer kennengelernt haben?
"Es sind viele Spieler dabei, die viele Jahre mit Bartosch zusammengearbeitet haben. Dadurch ist und bleibt er, auch nach seinem Weggang, mit der Mannschaft verbunden. Deswegen glaube ich, dass es für die Jungs gut ist, ein bekanntes Gesicht vor sich zu haben und zu wissen, dass es mit der Kontinuität weitergeht, die den Verein auszeichnet. Die grundsätzliche Art und Weise, wie wir als Verein Fußball spielen wollen, bleibt somit erhalten. Deswegen vermute ich einfach mal, dass es von der Mannschaft gut aufgenommen wurde." (lacht)
Welchen Eindruck hast du von der Mannschaft?
"Wir haben uns nach der letzten Saison bewusst dafür entschieden, dass die Mannschaft so jung bleiben soll, wie sie aktuell ist. Das ist mutig, aber die Mannschaft hat bewiesen, dass sie so erfolgreich Spiele bestreiten kann. Durch die Übernahme von unseren sechs Eigengewächsen aus der U19 in diesem Sommer ist sie sogar noch einmal jünger geworden. Nicht zuletzt im Trainingslager habe ich festgestellt, dass alle Spieler hart trainieren und die jungen Spieler sich sehr schnell an die Herangehensweise im Herrenfußball gewöhnt haben. Ich weiß aber auch, dass es bei einer jungen Mannschaft eine gewisse Zeit braucht, um diese Leistung zu festigen. Dafür brauchen wir sicherlich noch die nächsten Wochen der Vorbereitung."
Gibt es Pläne nach den Abgängen von Stephan Fürstner und Giuliano Modica noch einen Routinier zu verpflichten?
"Wir halten immer die Augen und Ohren offen. Ich habe aber das Gefühl, dass der Transfermarkt in diesem Jahr relativ spät losgeht, das sieht man ja auch bei den Profis. Wir müssen also geduldig sein. Entscheidend ist aber, dass wir im Hier und Jetzt arbeiten, um am ersten Spieltag gegen Ulm eine Mannschaft auf den Platz zu stellen, die, egal wie der Altersdurchschnitt sein wird, mit allen Wassern gewaschen ist."
Du sprichst Ulm an. Das ist ein Top-Team der Liga und wir waren das im letzten Jahr auch. Welches Ziel hast du mit der Mannschaft für die kommende Saison?
"Es ist typisch für U23-Mannschaften, dass die Resultate etwas schwankend sein können. Letztes Jahr waren wir oben dabei, im Jahr davor wären wir fast abgestiegen. Wir haben uns gesagt, dass wir der Vereinsphilosophie treu bleiben und auf die Ausbildung junger Spieler setzen werden. Daher setzen wir uns beim Tabellenplatz keine Grenzen, wissen aber auch, dass durch ständig wechselnde Startelfkonstellationen die Schwankungen in einer U23 größer sein können, als beispielsweise in einer U19 oder bei den Profis. Es ist eine Phase der Entwicklung und es ist unsere primäre Aufgabe, die Jungs auf den Profi-Fußball vorzubereiten."
Einige dieser Spieler an der Schwelle zu den Profis (Kaito Mizuta, Keanu Kraft und Danny Schmidt) sind aus dem Trainingslager der Bundesliga-Mannschaft zu euch gereist. Inwiefern haben die Trainingstage bei den Profis die Jungs weitergebracht?
"Es ist überragend, dass der Verein diese Möglichkeit schafft. Dadurch kann ich, in Rücksprache mit Bo und seinem Trainerteam, herausfinden, was dem einen oder anderen noch fehlt, um sich dauerhaft bei den Profis zu etablieren. Der Fußball bei den Profis ist schneller, intensiver und daher für den Kopf anspruchsvoller. Die drei Spieler, die zu uns zurückgekommen sind, sind sofort vorweg gegangen. Das spricht für uns und die Kommunikation zwischen Profis und U23. Es kann jeden Jugendtrainer im NLZ stolz machen, wenn Jungs wie Keanu Kraft und Nelson Weiper, die schon ewig im Verein sind, den Sprung Richtung Profimannschaft dauerhaft schaffen würden. Dafür möchte ich mit meiner Arbeit auch weiterhin stehen."
Du warst bereits als DFB-Stützpunktkoordinator, bei der U19 des VfL Bochum und bei der U23 von Borussia Dortmund tätig. Nun übernimmst du hier die U23. Was macht die Arbeit mit Nachwuchsmannschaften für dich so besonders?
"Bei der Profimannschaft ist an jedem Wochenende das Ergebnis das Ziel, bei einer Junioren-Mannschaft zunächst die Entwicklung. Das erfordert unterschiedliche Arbeitsmethoden. Über eine gute Entwicklung stellen sich die Ergebnisse irgendwann ein. In der U23 hat man die Zeit dafür. Das ist für mich eine tolle Aufgabe, weil ich schon immer, auch als Trainer von Senioren-Mannschaften, junge Menschen fördern wollte. Das werde ich auch nie wegbekommen, denn man bekommt unglaublich viel zurück. Das macht die Freude an der Arbeit aus."
Du hast im Rahmen deiner Tätigkeiten viele Cheftrainer kennengelernt. Was nimmt man da als U23-Trainer mit?
"Ich persönlich lerne auch von Trainern, die nicht so viel Erfahrung haben, weil man bei jedem Trainer Dinge findet, die man für sich mitnehmen kann. Ich habe in den letzten Jahren natürlich viel von meinen Kollegen gelernt und umgekehrt hoffentlich genauso. Die Zusammenarbeit zwischen Profi- und U23-Trainer handhabt jeder Verein anders. In Dortmund war ich beispielsweise bei manchen Trainern sehr nah dran, andere wollten Abstand haben, was auch völlig in Ordnung ist."
Wie eng ist der Austausch mit Bo?
"Die Zusammenarbeit mit Bo würde ich, seit er hier ist, als überragend bezeichnen. Wir denken beide so, wie es sich der Verein wünscht. Ich in der Position des Junioren-Cheftrainers, er als Trainer der Profis. Ich konnte gut herausfinden, was von den Jugendspielern braucht, wie wir diese ausbilden müssen. Umgekehrt wusste er, dass er mit mir jemanden hat, der ihm zur Seite steht und die Jungs auf das Niveau hebt, auf dem er sie haben möchte. Auf diese Zusammenarbeit freue ich mich jetzt auch in meiner neuen Funktion."
Aus Dortmund bist du im Winter 2019 zu Huddersfield in die Premier League gewechselt. Welche Erfahrungen nimmst du aus dieser Zeit mit?
"Da könnte ich jetzt sehr weit ausholen, aber das Sprechen mit den gegnerischen Trainern auf Augenhöhe nach den Spielen war für mich die größte Erfahrung. Die nehmen dich alle ernst, weil sie wissen, dass du nicht zufällig dort gelandet bist. Ich habe gemerkt, dass die absoluten Top-Trainer keine Eitelkeiten haben und nach dem Spiel sehr offen über das Spiel sprechen. Ich kann mich an eine Situation mit Pochettino erinnern, in der er mich nach einer Niederlage gegen Tottenham gefragt hat, warum ich in der zweiten Halbzeit umgestellt habe und mit drei Spitzen angelaufen bin. Ich dachte mir: 'Warum fragt er das? Er muss mich das nicht fragen.' Aber er wollte es einfach wissen, um etwas für seine Arbeit mitzunehmen. Dort habe ich gemerkt: Wenn du selbst Wissen teilst, wirst du besser. Das hat mir auch in meiner Rolle als Junioren-Cheftrainer geholfen."
Strebst du mittelfristig an, wieder Cheftrainer einer Profi-Mannschaft zu werden?
"Nein, das ist nicht zwingend mein Weg. Ich hatte auch in den vergangenen zwei Jahren wieder Möglichkeiten im Profifußball zu arbeiten, aber habe mich bewusst weiterhin für die Junioren-Cheftrainer-Rolle in Mainz entschieden. Denn mein Streben sind inhaltliche Gedanken, die den Verein und mich selbst weiterbringen. Das, was mich treibt, ist das Begleiten von Spielern auf dem Weg in den Profi-Fußball und die Haltung, wofür ein Verein stehen möchte."
Die Profis des FSV hast du Anfang 2021 in einer schwierigen Situation als Interimstrainer gecoacht. Gegner war damals der FC Bayern. Völlig überraschend habt ihr als Tabellen-17. zur Pause mit 2:0 in der Allianz Arena geführt. Dennoch ging das Spiel mit 2:5 verloren. Was sind deine Erinnerungen an dieses Spiel?
"Dadurch, dass ich in Huddersfield schon einmal in einer schwierigen Situation übernommen hatte, wusste ich sofort, wo ich ansetzen muss. Ich hatte im Gefühl, dass die Mannschaft den Turn-Around noch schaffen kann. Ich wusste, dass das seine Zeit braucht und dass wir gegen Bayern vielleicht nicht sofort gewinnen werden, auch wenn ich es gehofft habe, um schnellstmöglich drei Punkte für den Verein einzufahren. Ich glaube, dass schon mit der 2:0-Halbzeitführung und der Art und Weise, wie wir als Mainz 05 in diesem Spiel aufgetreten sind, die Mannschaft den Glauben an sich etwas wiedergewonnen hatte. Bo hat dann die richtigen Hebel gefunden, um den Glauben dauerhaft zurückzubringen und den sensationellen Klassenerhalt zu schaffen."
Du hast in deiner Zeit bei der Bochumer U19 Maxim Leitsch trainiert. Gab es vor dem Transfer einen Austausch mit dir?
"Ich wusste, dass von Mainz 05 Interesse an einer Verpflichtung von Maxim besteht, habe den Kontakt zu ihm aber nicht aktiv gesucht. Das mache ich prinzipiell nicht, weil es nicht meine Aufgabe ist. Ich kenne Maxim aber in der Tat schon sehr lange und habe damals zu Gertjan Verbeek (Anm. d. Red.: seinerzeit Cheftrainer des VfL) gesagt, dass der Junge Profi wird, obwohl ich ihn zuvor erst sechs Wochen in der Vorbereitung trainiert hatte. Aber er hatte etwas, das nicht viele haben: Er ist insbesondere unter Druck immer ruhig und klar geblieben und hatte die physischen Voraussetzungen, die auch sehr gut zum 05-Spiel passen. Ich hoffe, dass er das hier nun beweisen kann. Das wünsche ich ihm sehr."
Haben sich deine Vorstellungen vom Fußball grundsätzlich geändert, seit du nach Mainz gekommen bist?
"Ich würde nicht sagen geändert, sondern verstärkt. Ich saß vorher schon zweimal mit Mainz 05 zusammen, habe mich damals aber dafür entschieden, im Ruhrgebiet zu bleiben. Der FSV ist durch die Art und Weise, wie ich habe trainieren lassen und wie meine Mannschaften aufgetreten sind auf mich aufmerksam geworden. Es war vermutlich Fügung, dass ich dann den Job als Junioren-Cheftrainer hier übernommen habe. Der Fußball, den ich spielen lassen möchte, ist sehr deckungsgleich mit dem Fußball, für den Mainz 05 stehen möchte. Der Verein ist dafür bekannt, inhaltlich zu arbeiten, Trainer weiterzuentwickeln, Spieler auszubilden und innovativ zu sein. Bei diesen Attributen finde ich mich persönlich wieder."
Am Samstagnachmittag könnt ihr die U23 übrigens live im Bruchwegstadion verfolgen, wenn sich das Siewert-Team im Rahmen eines Testspiels mit Liga-Konkurrent Wormatia Worms misst. Anpfiff der Partie ist um 14 Uhr, der Eintritt frei. Genug Zeit also, um sich im Anschluss auf den Weg in die MEWA ARENA zu machen, wo die Profis ab 17 Uhr Athletic Bilbao empfangen.