Erstes Flutlichtspiel Deutschlands?
Am 7. Oktober jährt sich das erste Mainzer Fußballspiel unter künstlicher Beleuchtung zum hundertsten Mal. Christian Karn, Archivar von Mainz 05, hat recherchiert und schließt nicht mal aus:: Dieses Spiel könnte sogar das allererste Flutlichtspiel Deutschlands gewesen sein

Flutlichtspiele sind einfach etwas Besonderes, immer gewesen. Auch wenn die große Zeit der Flutlichtmasten, die aus vier Ecken das Spielfeld ausleuchteten, so dass die Spieler vier Schatten warfen, und den Auswärtsfahrern von der Autobahn aus den Weg zum Stadion wiesen, so gut wie vorbei ist. Die Reduzierung der Welt auf dieses eine grüne ausgeleuchtete Rasenviereck, bleibt auch unter den zahlreichen Scheinwerfern unterm Stadiondach ein ganz anderes Erlebnis als der Sommerfußball unter blauem Himmel.
Aber wann ging das eigentlich los? Es gibt die Kennzahlen: 14. Oktober 1878 an der Bramall Lane in Sheffield, damals ein Werbegag einer Beleuchtungsfirma, die eher die Industrie und Eisenbahn als den Sport als Zielgruppe suchte. 1951 bei Arsenal, 1954 in Wolverhampton mit internationalen Begegnungen, die in den Europapokal mündeten, ein Geschäftsmodell, das 1956 von den Offenbacher Kickers übernommen wurde. In der Bundesliga erstmals 1963, am dritten Spieltag, in Frankfurt gegen Nürnberg, einem Abendspiel, mit dem die Eintracht dem "Langen Samstag" ausweichen wollte - dem ersten Samstag im Monat, in dem die Geschäfte bis 18 Uhr öffnen durften.
Wann wurde in Deutschland zum allerersten Mal unter künstlicher Beleuchtung Fußball gespielt? Man weiß es nicht genau.
Jahrelang galt das Abschiedsspiel des Nationalspielers Richard Hofmann am Silvesterabend 1949 im Dresdner Ostragehege als erstes Flutlichtspiel in Deutschland. Dann tauchte in Hannover eine Pressemeldung auf über ein Spiel der Auswahl des Norddeutschen Südbezirks gegen die türkische Nationalmannschaft am 1. September 1926. "Zum ersten Mal in Deutschland (und vermutlich auch auf dem Kontinent), schrieb damals der Hannoversche Anzeiger in seiner Sportausgabe "HA Sport".
Zum ersten Mal in Deutschland? Auf dem Kontinent? Mutmaßlich ein Irrtum, denn "Einen eigenartigen Versuch, vielleicht den ersten seiner Art", beobachtete der Mainzer Anzeiger bereits am 7. Oktober 1925, "nämlich ein Fußballwettspiel bei elektrischer Beleuchtung auszutragen". Vielleicht den ersten seiner Art, jedenfalls den frühesten derzeit bekannten.

Das Mainzer Velodrom in der Oberstadt.
Vizemeister nach Aufstieg
Austragungsort war wie ein knappes Jahr später in Hannover eine Radrennbahn, das Mainzer Velodrom, dessen Reste heute noch am Fichteplatz in der Oberstadt zu sehen sind. Die 1889 vom Mainzer Bicycle-Club Moguntia auf dem ehemaligen Festungsgelände angelegte Rennbahn war die erste neuzeitliche Großsportanlage der Stadt, rund 30.000 Mark kostete damals der über eine Lotterie finanzierte Neubau, der 1928 wegen des benachbarten Wohngebiets aufgegeben wurde und vor der Errichtung des ersten 05-Stadions auf dem heutigen Schott-Betriebsgelände (1910) eine Zeit lang Heimspielstätte des jungen MFC Hassia 05 war, aus dem sich über die Jahre durch Fusionen der heutige FSV entwickelte.
Die 05ER, gerade nach zwei Jahren wieder in die höchste Spielklasse, die Bezirksliga Rheinhessen-Saar aufgestiegen (in der sie prompt Vizemeister wurden, hinter dem FV Saarbrücken, dem heutigen FCS, und vor dem 1. FC Idar, Wormatia Worms, dem SV Wiesbaden, Borussia Neunkirchen, der TSG Höchst und der SpVgg Griesheim), traten in Bestbesetzung an: Hans Lautner im Tor, vor ihm die Berliner Verteidiger Kurt Diemer - 1912/13 viermaliger Deutscher A-Nationalspieler - und Otto Freitag, vor ihnen die Läufer Willi Freitag, Heinrich Leikauf und Willi Koch, auf den Flügeln der Jurastudent Toni Brandel, damals noch nicht promoviert, und Georg Kaiser, im Innensturm W. Weil neben dem wuchtigen Mannheimer Torjäger Paul Lipponer und dem Mainzer Fußballpionier Hugo Ries. Der Verein der Sportfreunde aus Mainz war weitaus weniger prominent besetzt; sein Linksaußen Weilbächer könnte der spätere langjährige 05ER Clemens Weilbächer sein, der linke Läufer Finkenauer vermutlich nicht der einstige 05-Vorsitzende Karl Finkenauer. Der Torwart Kirn, sofern es sich um Willi Kirn handelte, könnte zwei Jahre später in Neu-Isenburg im 05-Tor gestanden (und sieben Treffer kassiert) haben, es lässt sich nicht verifizieren. Der eine oder andere Gastspieler sei zur Verstärkung dabei gewesen, berichtete der Anzeiger in seiner Vorschau.
Komplizierte Sichtverhältnisse
Die Veranstalter ließen sich die Veranstaltung einigen Aufwand kosten. Eigens zu diesem Spiel wurden die bereits vorhandenen Beleuchtungsanlagen der Radrennbahn verstärkt. In der Halbzeit traten die für ein am folgenden Sonntag bereits angereisten Radrennfahrer zu einem Trainingsmatch an, unter ihnen Willy Techmer (1919 Sieger im Berliner Sechstagerennen).
1500 Zuschauer sahen so am 7. Oktober 1925, vor genau 100 Jahren, das früheste derzeit bekannte Flutlicht-Fußballspiel Deutschlands. Der heutige FSV gewann 7:1, die Treffer markierten dreimal Weil, zweimal Lipponer, jeweils einmal Otto und Willi Freitag. Was gar nicht so leicht nachvollziehbar war für den interessierten Beobachter. Denn, auch das musste der Mainzer Anzeiger berichten: "Die Sichtmöglichkeit [war] beschränkt, da die Beleuchtungsanlagen doch noch nicht ganz für den Zweck eines Fußballspiels ausreichten." Für die Spieler sei das schwache Licht kein Problem gewesen, lediglich bei hohen Bällen seien sie von den Scheinwerfern geblendet worden. Schwieriger war es für die Zuschauer, "die meistens nur die Vorgänge auf der ihnen zunächst liegenden Seite des Spielfeldes beobachten konnten, für die aber die entfernteren Geschehnisse in Halbdunkel gehüllt blieben" - Bedingungen also, die wir freilich heute noch beim einen oder anderen Amateurspiel auf kleinen Sportplätzen erleben.
Das Experiment wurde in Mainz erst einmal nicht wiederholt. Am Bruchweg stehen erst seit 1995 die Flutlichtmasten, eingeschaltet und in der Bundesliga 2011 letztmals ausgeschaltet beim Spiel gegen Borussia Mönchengladbach - und dass es nicht hell genug war, sahen wir bei einem aus noch ganz anderen Gründen legendären 4:1 gegen Energie Cottbus und im Schreiben der UEFA, die 2005 keine Europapokalspiele am Bruchweg erlaubte - zu schwach beleuchtet und auch zu klein wäre das Stadion gewesen. Dafür empfangen wir nun zum vierten Mal nach 2011, 2014 und 2016 europäische Gäste zu Pflichtspielen in der MEWA ARENA. Und wenn auch die Masten und die markanten vierfachen Schatten fehlen, werden wir gegen Mostar, Florenz und Samsun alle gemeinsam dieses Flutlichtgefühl genießen, das in Mainz erstmals vor 100 Jahren zu erleben war. Erstmals in Deutschland? Das wissen wir nicht abschließend. Wer weiß, was noch in den Archiven anderer Klubs schlummert.
